Wer ist der größte Pokerspieler aller Zeiten? Diese Frage hat sicherlich mehr als einen von uns zum Nachdenken gebracht, ohne zu einer eindeutigen Antwort zu kommen.
Die Entscheidung, wer der beste Pokerspieler aller Zeiten ist, gestaltet sich zweifellos als eine schwierige Aufgabe, und in zahlreichen Rankings erscheinen immer wieder dieselben Namen. Ein Name, der fast durchweg auf all diesen Listen zu finden ist, hat uns leider viel zu früh verlassen.
Ein Spieler, der trotz seines frühen Todes mit 45 Jahren ein Vermächtnis in der Pokerwelt hinterließ und zu einer Ikone der World Series of Poker (WSOP) wurde.
Die Rede ist natürlich von Stu Ungar, dessen einzigartige und tragische Geschichte wir in diesem Artikel genauer unter die Lupe nehmen.
Die Anfänge
Geboren am 8. September 1953 in New York als Sohn jüdischer Eltern, wuchs Stuart Errol Ungar im Schatten seines Vaters Isidore Ungar, auch bekannt als "Ido", auf, der Buchmachergeschäfte in seiner Bar Foxes Corner betrieb.
Die Bar war ein Hotspot für Glücksspiele und Wetten.
So kam Stu schon in jungen Jahren mit der Welt des Glücksspiels in Berührung. Trotz der Bemühungen seines Vaters, ihn von diesen Spielen fernzuhalten, begann Stu an illegalen Gin-Rummy-Spielen teilzunehmen. Schnell etablierte er sich dort als geschätzter Spieler.
Nach dem Tod seines Vaters erlitt seine Mutter, Faye Ungar, einen Herzinfarkt, der dafür sorgte, dass sie arbeitsunfähig wurde. Daraufhin musste Stu den Lebensunterhalt für seine Familie verdienen und so versuchte er sein Glück in den illegalen Glücksspielrunden der Stadt.
Bis zu seinem 18. Lebensjahr unterstütze er so seine Familie, bis er Victor Romano kennenlernte, einen berühmten Mafioso der 1960er-Jahre. Romano war ein erstklassiger Kartenspieler und besaß, ähnlich wie Ungar, ein tiefgehendes Verständnis für die Gewinnwahrscheinlichkeiten. Dieses gemeinsame Interesse führten zu einer tiefgründigen Freundschaft, in der Romano als sein Mentor und Beschützer fungierte.
Vom Gin Rummy zum Poker
Bereits in jungen Jahren zeichnete sich Stu Ungar durch seine außerordentliche Intelligenz aus. Der exzentrische Pokerspieler übersprang die 7. Klasse aufgrund seiner herausragenden schulischen Leistungen. Dennoch musste er seine schulische Laufbahn letztlich während der 10. Klasse abbrechen.
Seine Brillanz beschränkte sich jedoch nicht nur auf akademische Erfolge. Im zarten Alter von zehn Jahren gewann er ein lokales Gin-Rummy-Turnier. Genau dieses Kartenspiel wurde seine finanzielle Stütze, als er entschied, die Schule endgültig abzubrechen.
Nach dem Ableben seines Vaters wurde Gin Rummy zur finanziellen Lebensader für ihn, seine kranke Mutter und seine Schwester. Und auch viele Poker Turniere endeten damit, dass Ungar sich den obersten Platz auf dem Siegertreppchen sicherte, und sein Verdienst lag damals bei etwa 10.000 US-Dollar im Monat.
Letztendlich zwangen ihn Kredithaie, seine Geburtsstadt auf dem Zenit seiner Gin-Rummy-Karriere zu verlassen. Er hatte einen Berg an Schulden angehäuft, vornehmlich durch Wetten auf Pferderennen. Zuerst zog es ihn nach Miami, bevor er im Jahr 1977 den Sprung nach Las Vegas wagte.
Einer der Beweggründe, die Ungar dazu veranlassten, sein Glück am Pokertisch zu versuchen, war die immer geringere Anzahl an Spieler, die gegen Ungar Gin Rummy spielen wollten. Fast jeder Gegner, der sich mit ihm auf eine Partie beim Gin Rummy einließ, ging mit hoher Wahrscheinlichkeit als Verlierer hervor.
Einer der denkwürdigsten Episoden handelt von Harry "Yonkie" Stein, der zu dieser Zeit als einer der talentiertesten Gin-Rummy-Spieler seiner Generation neben Stu Ungar galt.
Ungar besiegte Stein in einem High-Stakes-Duell mit 86 (sechsundachtzig!) Spielen zu 0, was zur Folge hatte, dass Stein praktisch mit dem Gin Rummy aufhörte.
Nach diesem Triumph weigerten sich zahlreiche Spieler, gegen Ungar zu spielen. Einige Casinos baten ihn sogar, nicht an ihren Gin-Rummy-Turnieren teilzunehmen. Der Grund? Viele äußerten, dass sie erst gar nicht antreten würden, wenn sie wüssten, dass dieses Gin-Rummy-Wunderkind auf der Teilnehmerliste stehen würde.
Obwohl Stu Ungar heute für seine Pokerkarriere bekannt ist, hielt er sich selbst für einen besseren Gin-Rummy-Spieler als für einen Pokerspieler.
Er schrieb in seiner Autobiografie:
"Es könnte eines Tages jemand auftauchen, der ein besserer No-Limit Hold'em-Spieler ist als ich. Ich halte das für unwahrscheinlich, aber es ist nicht ausgeschlossen. Aber ich schwöre Ihnen, ich wüsste nicht, wie jemand jemals besser Gin Rummy spielen könnte als ich."
Da Ungar in dem Kartenspiel, das er am meisten beherrschte, keine adäquaten Herausforderungen mehr vorfand, begann er nach anderen Optionen Ausschau zu halten.
Poker entwickelte sich zu seiner nächsten Arena, in der er viele Erfolge feierte.
Ungar bei der World Series of Poker
Aufgrund seines jugendlich wirkenden Erscheinungsbildes wurde Stu Ungar gemeinhin als "The Kid" bezeichnet. Sein Debüt bei der World Series of Poker (WSOP) im Jahr 1980 sorgte direkt für Furore.
Der gebürtige New Yorker hatte lediglich an einem anderen Turnier dieser Größenordnung teilgenommen – dem Super Bowl of Poker. Dort schlug er den mittlerweile verstorbenen Doyle Brunson im Heads-Up-Duell und sicherte sich das Bracelet des Champions.
Mit 27 Jahren war er der damals jüngste Spieler, der das Main Event für sich entscheiden konnte. Brunson sagte, es sei das erste Mal gewesen, dass er einen Pokerspieler gesehen habe, der sich während eines Turniers merklich verbessert habe.
1981 kehrte The Kid in das Binion's Horseshoe zurück, um seinen Titel zu verteidigen. Erneut nahm er das Bracelet mit nach Hause. Diesmal setzte er sich im Heads-Up gegen Perry Green durch.
The Kid war nun nach Johnny Moss und Doyle Brunson der dritte Spieler in der WSOP-Geschichte, der seinen Titel im Main Event verteidigen konnte.
Ungars Erfolgsgeschichte umfasste allerdings nicht nur das Main Event der World Series of Poker. Er außerdem auch bei weiteren Side Events der WSOP erfolgreich:
- 1981 gewann der ehemalige Gin-Rummy-Spieler das $10.000 2-7 Draw Event.
- 1983 sicherte er sich sein viertes Bracelet mit einem Sieg beim $5.000 Seven Card Stud Event.
Zugegeben, die Teilnehmerzahlen waren zur damaligen Zeit längst nicht so hoch wie heute, dennoch ist es beeindruckend, dass Ungar binnen drei Jahren vier Bracelets abräumte, darunter zwei im Main Event.
Das Comeback
Leider wirkten sich Ruhm und Wohlstand negativ auf Ungars Leben aus, insbesondere sein anhaltender Kokainmissbrauch. 1990, am dritten Tag des WSOP Main Events, kollabierte der damalige Chip-Leader in seinem Hotelzimmer aufgrund einer Überdosis.
Erstaunlicherweise kehrte er an den Pokertisch zurück und beendete das Turnier auf dem neunten Platz.
In puncto Laster und Selbstzerstörung sah die Lage für Stu düster aus. Seine engen Vertrauten merkten an, dass nur sein unerschütterlicher Wunsch, seine Tochter Stefanie aufwachsen zu sehen, ihn am Leben hielt. Sie boten ihm sogar an, die Kosten für eine Therapie in einer Entzugsklinik zu übernehmen, was er jedoch konsequent ablehnte.
Während der späten 1990er-Jahre, konkret im Jahr 1997, war Ungar hoch verschuldet und zeigte bereits ernste gesundheitliche Schäden durch seinen Drogengebrauch. Trotzdem schaffte er es, Billy Baxter davon zu überzeugen, das Buy-In in Höhe von 10.000 $ für das Main Event zu übernehmen.
Der erste Tag stand unter keinem guten Stern: Ungar war so erschöpft, dass er am Pokertisch einschlief. Seine Freunde drängten ihn dazu, sich auszuruhen und seine Bestform wiederzufinden.
Er schafft es schließlich Chip-Leader zu werden und gewann das Turnier zum dritten Mal. Damit ist er neben Johnny Moss der einzige Spieler, der das prestigeträchtige Main Event dreimal mit für sich entscheiden konnte.
Im Rahmen des Siegerinterviews präsentierte Ungar dem Interviewer Gabe Kaplan ein Bild seiner Tochter. Er widmete ihr seinen Sieg, der ihm den Beinamen "The Comeback Kid" einbrachte.
Der endgültige Absturz
Keiner kann aus seiner Haut, jeder ist das, was er ist. Leider passt dieses Sprichwort auf Stu Ungar wie die Faust aufs Auge.
Nach der Aufteilung des Preisgeldes in Höhe von einer Million US-Dollar mit Baxter kehrte sein Leben zum altbekannten Chaos zurück. Innerhalb kürzester Zeit verprasste er seine 500.000 US-Dollar hauptsächlich für Drogen und Sportwetten. Obwohl seine Tochter ihn bei zahlreichen Versuchen, Clean zu werden, unterstützte, gelang es Ungar nie, den Teufelskreis zu durchbrechen.
1998 schlug er ein erneutes Angebot Baxters aus, das Buy-In für das Main Event zu finanzieren. Der dreimalige WSOP-Champion verschwand aus den Kreisen, in denen er bis dahin verkehre. Er lebte in verschiedenen Hotels und Motels in Las Vegas, verließ nur selten sein Zimmer und kämpfte durchweg mit finanziellen Schwierigkeiten.
Er verschaffte sich Geld, um erneut am Pokertisch Platz nehmen zu können, bezahlte damit aber stets seinen Crack-Konsum. Nachdem durch jahrelangen exzessiven Kokaingebrauch seine Nasenwege unbrauchbar geworden waren, griff er zu Crack.
In jenem Jahr, genauer gesagt am 22. November, wurde Stu Ungar tot auf dem Boden von Zimmer Nummer 6 im Oasis Motel gefunden. Die wahrscheinlichste Todesursache war ein Herzinfarkt, verursacht durch seinen exzessiven Drogenmissbrauch. Bemerkenswerterweise wurden keine signifikanten Drogenspuren in seinem Blut entdeckt.
Trotz geschätzten Live-Turniergewinnen von rund 30 Millionen US-Dollar verstarb Ungar mittellos und ohne nennenswertes Vermögen.
Das Vermächtnis von Stu Ungar
Ungeachtet seines selbstzerstörerischen Lebensstils wurde Ungar stets von seinen engsten Vertrauten geliebt. Er begegnete anderen an den Pokertischen immer mit Respekt. Wie schon erwähnt, war es seine Tochter, die ihn über viele Jahre zum Durchhalten motivierte. Seinen Triumph im Jahr 1997 verdankte er ebenso ihrer moralischen Unterstützung.
Nach dem Interview mit Gabe Kaplan war klar, dass Stefanie der Mittelpunkt seiner Welt war.
Ende 2020, in der Woche des Jahrestags seines Todes, gab Stefanie Ungar Pokerfans die Möglichkeit, mehr über das Leben ihres Vaters zu erfahren.
Hier sind einige der Fragen und Antworten der Ask Me Anything (AMA) Session auf Reddit.
F: Hat Ihr Vater Ihnen das Pokerspielen beigebracht?
A: Nein, er hat mir nie beigebracht, wie man Poker spielt.
F: Welchen Pokerspieler respektierte ihr Vater am Tisch am meisten?
A: Chip Reese.
F: Was glauben Sie, wer hat einen ähnlichen Spielstil wie Ihr Vater?
A: Da ich selbst keine Pokerspielerin bin, antworte ich mit der Meinung von Mike Sexton: Phil Ivey.
F: Spielen Sie Poker?
A: Nein, falls ich allerdings spielen würde, wäre meine Wahl Blackjack. Es erstaunt viele Menschen, dass ich keine Pokerspielerin geworden bin. Leider habe ich nicht sein mathematisches Talent geerbt, aber ich habe definitiv eine Vorliebe für Vegas – meiner Geburts- und Heimatstadt!
F: Hat Ihr Vater jemals seine Spielstrategien schriftlich festgehalten?
A: Absolut nicht. Stu behauptete immer, er wisse intuitiv, was zu tun sei, könne dies jedoch nicht verbalisieren.
F: Mit welchen drei Worten würden Sie Ihren Vater beschreiben?
A: Es fällt mir schwer, mich auf nur drei Begriffe zu beschränken. Ich würde sagen, er war charismatisch, geistreich, humorvoll und loyal.
F: Abgesehen von Glücksspiel, Poker und seinen Lastern, welche Leidenschaften hatte Ihr Vater, etwas, das die Pokercommunity als ungewöhnlich oder interessant empfinden könnte?
A: Mein Vater hatte eine Passion für Geschichte und war ein Fan von Schwarz-Weiß Filmen. Er meinte einmal zu mir, er wäre womöglich Jurist geworden, wenn er nicht Poker gespielt hätte. Kochen konnte er nicht und es gibt viele Dinge im Leben, die er einfach nicht gemacht hat, die für uns alltäglich sind. So bezahlte er beispielsweise dem Sohn eines Freundes 20 US-Dollar, um den Müll hinauszubringen. Ich finde das nach wie vor amüsant.
F: Hatten Sie als Kind das Gefühl, Ihr Vater sei eine Berühmtheit?
A: Ja! Aber die Pokerwelt ist heutzutage viel größer, daher kann ich nur erahnen, wie das heute wäre.
F: Haben Sie den Film High Roller gesehen, der auf dem Leben Ihres Vaters basiert? Denken Sie, dass er adäquat porträtiert wurde?
A: Ich habe den Film tatsächlich gesehen und bin der Ansicht, dass er nicht authentisch dargestellt wurde. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, uns nicht an dem Projekt zu beteiligen, als uns das Drehbuch vorgelegt wurde.
F: Was ist Ihre schönste Erinnerung?
A: So viele! Die Zeiten, in denen wir auf der Couch lagen und uns unterhielten. Und als er mich eines Tages zum Einkaufen mitnahm und sah, wie ich alle möglichen Klamotten anprobierte... wir haben so viel gelacht! Das war ein toller Tag, an den ich mich oft erinnere.
Zum Schluss
Stu Ungar wird wohl bis auf alle Ewigkeit in den Listen der besten Pokerspieler aller Zeiten zu finden sein. Selbst in einer anderen Ära war das, was er an den Tischen erreicht hat, außergewöhnlich. Das Unwissen darüber, welchen Weg "The Kid" in der modernen Pokerwelt hätte nehmen können, hinterlässt ein Gefühl der Wehmut.
Seine einzigartigen Errungenschaften am Pokertisch werden wahrscheinlich für immer unerreichbar bleiben:
- Von 30 großen NLH-Turnieren mit einem Buy-In von über 5.000 US-Dollar gewann er 10 davon.
- Er gewann dreimal das Main Event der World Series of Poker.
- Außerdem holte er sich ebenso viele Titel im Main Event des Amarillo Slim Super Bowl of Pokers.
Dabei handelt es sich um das einzige Turnier, das der WSOP in den 1980er-Jahren ähnelten.
Sein Vermächtnis in der Pokerwelt wird für alle Zeiten Bestand haben.
Sein Platz in der Poker Hall of Fame ist ihm für immer sicher.